Hannes Klöpper ist der Gründer und CEO von HelloBetter, einem weltweit führenden Unternehmen im Bereich der digitalen psychischen Gesundheitspflege. Er ist ein international anerkannter Experte auf dem Gebiet des Online-Lernens und ich hatte das Vergnügen, ihn als unseren ersten #MAKER des Jahres 2021 zu interviewen – um seine Perspektiven für die digitale psychische Gesundheit in Deutschland zu erfahren.
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Hallo Hannes, frohes neues Jahr und vielen Dank, dass Sie sich die Zeit für ein Interview als unser erster Interviewpartner für 2021 genommen haben!
Liebe Emily, sehr gerne, herzlichen Dank für die Anfrage.
Ich war sehr beeindruckt, als ich Sie letztes Jahr in Berlin kennen lernte. Können Sie sich für unsere Community bitte selbst beschreiben, was Ihre Rolle in der digitalen Medizin ist und woher dieser Antrieb von Ihnen kommt?
Vor meiner Zeit bei HelloBetter habe ich das Education-Startup iversity 2011 gegründet, das 2017 an Springer Nature verkauft. Daraufhin verließ ich das Unternehmen und wurde etwa ein Jahr später von meinem Freund David Ebert, einem der Mitgründer von HelloBetter, angesprochen. Wir stellten schnell fest, dass meine Erfahrung die Kernkompetenzen des bestehenden Gründungsteam gut ergänzten und beschlossen den weiteren Aufbau des Unternehmens gemeinsam voran zu treiben.
An HelloBetter reizte mich besonders, dass es nicht das typische Startup ist, das von drei BWLern gegründet wurde, um eine schnelle Mark zu machen. Vielmehr ist es als Ausgründung aus der Wissenschaft entstanden: Die drei Gründerinnen haben alle in Psychologie promoviert und arbeiten mittlerweile seit einem Jahrzehnt in diesem Feld. Zudem gibt es im Produkt starke Parallelen zu iversity: Im Kern ist auch HelloBetter ein Bildungsprodukt. Unsere Online-Trainings vermitteln Hilfe zur Selbsthilfe und befähigen Menschen ihre psychische Beschwerden durch Verhaltensänderungen eigenständig zu lindern.
Zudem hat das Thema Gesundheit in meiner Familie seit jeher eine große Rolle gespielt. Meine beiden Eltern sowie mein Bruder sind Ärzte. Mit psychischen Erkrankungen und mit der Psychotherapie war ich zudem auch in meinem persönlichen Umfeld immer wieder konfrontiert. So habe ich erlebt, welche großen Veränderungen sie erreichen kann, aber auch wie schwierig und langwierig sich die Suche nach professioneller Hilfe oft gestaltet. Die Versorgung von Menschen mit psychischen Beschwerden weist leider erhebliche Defizite auf: Obwohl wir in Deutschland eines der besten Gesundheitssysteme weltweit haben, wird mehr als die Hälfte aller Menschen die an psychischen Erkrankungen leiden, leider nie diagnostiziert oder behandelt. Dies wollen wir ändern.
Für mich war immer klar, dass ich an etwas Sinnvollem arbeiten wollte. Mit meiner Arbeit an HelloBetter kann ich nun meinen Teil dazu beitragen, dass sich die Versorgung von Menschen mit psychischen Beschwerden – zunächst in Deutschland und mittelfristig weltweit verbessert.
Wenn man bedenkt, dass Sie an der Schnittstelle von Psychologie und digitaler Gesundheit arbeiten, was sehen Sie als Ihren USP? Darüber hinaus was genau findet in Ihrem Alltag schon alles digital statt? Wo schafft die Digitalisierung damit einen Mehrwert?
Lassen Sie mich mit dem zweiten Teil der Frage anfangen. Auch hier gibt es Parallelen zu meiner Zeit bei iversity. Es ist doch wirklich erstaunlich, wie sehr die Digitalisierung mittlerweile alle privaten Lebensbereiche durchdringt. Aber in der Bildung – dies wird uns derzeit aufgrund von Corona ja sehr schmerzlich vor Augen geführt – wie auch in der Medizin wird das Potential der Digitalisierung bei weitem noch nicht ausgeschöpft. Natürlich gibt es eine Vielzahl von Apps, aber bisher wurden diese kaum in der kassenfinanzierten Regelversorgung genutzt. Dies beginnt sich nun zu ändern. Voraussetzung dafür ist jedoch, dass die neuen digitalen Angebote ihre Wirksamkeit unter Beweis stellen. Und genau da liegt unser USP. Forschung ist eine der großen Stärken von HelloBetter. Wir konnten in bisher 33 randomisiert-kontrollierten klinischen Studien – dem Goldstandard der wissenschaftlichen Wirksamkeitsforschung – nachweisen, dass unsere Produkte wirksam sind. Dabei ist die Effektstärke – also die quantifizierte Reduktion der Symptomatik eines Patienten – wirklich beeindruckend. Wir erzielen mit fast allen unserer Produkte Effektstärken die mit denen der Face-to-Face Psychotherapie vergleichbar sind.
Nun mit Blick in die Zukunft: Wo sehen Sie die größten Chancen und Potenziale in der Digitalisierung des Gesundheitswesens, insbesondere in Ihrer Branche? Wieso?
Während eines jeden Jahres leidet mindestens jeder vierte Erwachsene in Deutschland an einer psychischen Erkrankung wie einer Depression. Nur ein kleiner Anteil sucht proaktiv nach Hilfe, um die Beschwerden zu lindern: 9 % aller erwachsenen Versicherten haben in den letzten drei Jahren wegen eines psychischen Problems einen Psychotherapeuten aufgesucht. Das ist ein Problem, denn wenn Menschen mit psychischen Beschwerden nicht rechtzeitig erreicht werden, können sich Beschwerden verschlimmern. Man spricht davon, dass sie chronifizieren. Die Behandlung ist dann langwieriger, kostspieliger für die Versicherungen und unangenehmer für die Patientinnen. Das lässt sich verhindern, wenn Betroffene früher im Erkrankungsprozess erreicht werden. Digitale Anwendungen wie die Online-Trainings von HelloBetter können dabei helfen, diese Menschen frühzeitig zu erreichen. Eine klassische Psychotherapeutin betreibt ja kein aktives Marketing, denn die Leute stehen ohnehin bei ihr Schlange. Wir betreiben Aufklärung, bieten einen Überblick über Behandlungsoptionen und ein einfach zugängliches, skalierbares Angebot jenseits der herkömmlichen Psychotherapie. So helfen wir mit die dramatische Versorgungslücke zu schließen unter der sehr viele Menschen schwer leiden.
Ich bin auch neugierig auf Ihre Erkenntnisse über das Marktpotenzial im Bereich der digitalen Gesundheit, insbesondere im Bereich der psychischen Gesundheit. Wo konkret sehen Sie das größte Marktpotenzial in der digitalen Gesundheit in den kommenden Jahren und wieso?
Der ganze Bereich der das Verhalten betrifft – also das was man im englischen Behavioural Health nennt – erlebt derzeit einen enormen Boom. Das ist das Thema Psyche, aber auch all jene somatischen Erkrankungen, bei denen das eigene Verhalten einen großen Einfluss auf ihren Verlauf haben – zum Beispiel Diabetes. Hier bieten digitale Angebote die die Patienten im Lebensalltag begleiten, beraten, erinnern und motivieren am Ball zu bleiben unendlich viele neue, spannende Möglichkeiten für effektive Therapien. Wir haben durch die Wirksamkeit vieler Medikamente eine völlig eindimensionale Vorstellung der Medizin entwickelt. Medizin ist nicht bloß Pillen schlucken. Unser eigenes Verhalten hat einen enormen, vielfach entscheidenden Einfluss auf unsere Gesundheit. Da müssen wir ansetzen. Und dank der nahezu universellen Verbreitung von Smartphones können wir dies nun auf ganz neue Weise. Durch die Analyse der Daten die die Nutzer dabei generieren können wir die Wirksamkeit unterschiedlicher Therapieansätze praktisch live verfolgen und diese auf Grundlage dieser Daten aus dem Behandlungsalltag an individuelle Bedürfnisse anpassen und stetig weiter verbessern.
Ich erinnere mich, einen sehr aufschlussreichen Artikel gelesen zu haben, den Sie auf LinkedIn zum Thema „Ratschläge für Investoren“ geschrieben haben. Welche Erfahrungen haben Sie dazu veranlasst, das zu schreiben, und können Sie Ihre Kernpunkte aus dem Artikel teilen?
Ach, das waren eher Beobachtungen als Ratschläge. Es erschien mir in gewisser Weise ironisch, dass Investoren immer “Fokus” predigen, sich aber selbst nicht festlegen wollen ob sie nun in der Frühphase oder eher später investieren, nur Unternehmen in bestimmten Branchen oder Ländern in Betracht ziehen etc.
Das macht den Prozess der Kapitalsuche für Unternehmer langwierig und nervenaufreibend, weil der berühmte “Fit” schwer erkennbar ist und man daher sehr viele Gespräche umsonst führt. Daraus habe ich die Forderung abgeleitet, dass sie doch bitte ihren eigenen Worten Taten folgen lassen und klarstellen sollten, wo ihr Fokus eigentlich liegt.
Sie haben aus ihrer Zeit bei iversity und bei HelloBetter einige Gründungserfahrung. Welche Ratschläge würden Sie aufgrund Ihrer Erfahrungen aktuellen und zukünftigen Gründern im Bereich der digitalen Gesundheit geben?
Resilienz ist alles. Es wird immer Rückschläge geben. Als Gründer hat man den ganzen Tag nur mit Problemen zu tun. Denn die Dinge die gut funktionieren, verdienen keine Aufmerksamkeit. Das ist anstrengend. Schlaf, Sport, gesundes Essen sollte man auf keinen Fall unterschätzen. Die eigenen Ressourcen gilt es zu pflegen. Überdies sollte man sich nicht verrückt machen. Gerade im Tech-Startup Bereich gilt: die meisten Unternehmen scheitern! Man sollte seinen Job natürlich so gut wie möglich machen. Aber wenn das dann trotzdem nicht reicht, ist es wichtig sich nicht endlose Vorwürfe zu machen.
COVID-19 hat die Veranstaltungslandschaft im Bereich Digital Health verändert. Welche drei Veranstaltungen sind also ein MUSS im Bereich Digital Health?
Die Frage kann ich leider gar nicht so gut beantworten, da wir 2019 voll auf dem Um- und Aufbau des Unternehmens fokussiert waren, so dass ich ganzen Jahr nur auf einer Konferenz war. Und 2020… naja. In Deutschland sind Frontiers of Health und Medica und international der Rock Health Summit sicher relevant. Angesichts des DVG werden bei uns allen sicherlich auch die Jahresversammlungen der Ärzte- und Psychotherapeutenverbände als wichtige Termine im Kalender stehen.
Es ist sehr wichtig, mit der Digital-Health-Community in Verbindung zu bleiben und auch über die neuesten Digital-Health-Nachrichten auf dem Laufenden zu sein. Welche Webseiten, Podcasts, Newsletter, Gruppen und Veranstaltungen finden Sie am hilfreichsten, um auf deutschem und internationalem Boden auf dem Laufenden zu bleiben?
- Rock Health Podcast– führende digital Health Unternehmen aus den USA
- Stigma Podcast – spezifisch bzgl. der Entwicklung im Bereich psychischer Gesundheit
- Startup Notes – hier gibt es immer mal wieder Gespräche mit Gründern aus der deutschen digital health Szene
Hier können Sie sich mit Hannes verbinden:
https://www.linkedin.com/in/hanneskloepper/