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Interviews Special

„So sicher wie möglich, so transparent und offen wie nötig“

PD Dr. David Back und PD Dr. Dominik Pförringer haben Ende 2018 gemeinsam mit weiteren Kollegen der DGOU die offizielle „Arbeitsgemeinschaft Digitalisierung“ gegründet. Ihnen geht es darum, die Potenziale der Digitalisierung bestmöglich für das Gesundheitswesen nutzbar zu machen. Der Bayerische Facharztverband (BFAV) hat nun den jüngsten Datendiebstahl von Politikern und Prominenten zum Anlass genommen, auf ähnlich gelagerte, potenzielle Gefahren für Patienten hinzuweisen. esanum befragte dazu die beiden Vorreiter der Digitalisierung, PD Dr. Back, PD Dr. Pförringer und den Leiter der AG Datenschutz PD Dr. Georg Osterhoff.

esanum: Dr. Back, Dr. Pförringer, sehen Sie nach dem jüngsten Hackerangriff auf Prominente derzeit auch reale Risiken für die Patientendaten?

A: Die neuerlichen Meldungen, so bedauerlich sie sind, stellen einen Weckruf zur omnipräsenten Gefahr des Datendiebstahls dar. Patientendaten bedürfen selbstverständlich des höchstmöglichen Schutzes – lassen Sie uns in diesem Kontext bitte stets bedenken, wie diese Daten heute in Kliniken dieser Gefahr ausgesetzt sind.

esanum: Muss die aktuell gewachsene Sorge um die Datensicherheit jetzt den Digitalisierungsprozess im Gesundheitswesen stoppen?

A: Auf gar keinen Fall. Sie sollte uns lediglich zum konstruktiven Diskurs bringen, wie wir die Daten schützen und wo wir sie lagern wollen, sprich, wie wichtig eine europäische Kontrolle und Sicherung ist. Über sogenannte „distributed ledger“-Lösungen wie die Blockchain kann zudem sichergestellt werden, dass jeder einzelne Datenzugriff nachvollziehbar wird, sei er legitim oder illegal.

esanum: Der BFAV fordert in einer Pressemitteilung, die „elektronische Gesundheitskarte (eCard) mit der darauf basierenden Telematik-Infrastruktur (TI) und der in Entwicklung befindlichen elektronischen Patientenakte muss nach 15 pannenreichen Jahren Entwicklungszeit in den ‚Datenmüll‘ entsorgt werden.“ Wie ist Ihre Sicht der Dinge?

A: Dies erscheint auf den ersten Blick als undifferenzierte Spontanaussage, der wir uns so nicht bedingungslos anschließen.

Unsere AG denkt proaktiv und positiv, wir negieren oder verurteilen nicht, sondern helfen, über Lösungen nachzudenken. Das Motto lautet: Das Bessere ist der Feind des Aktuellen. Wir sprechen uns nicht gegen technologische Entwicklungen aus, bevor wir konkrete Alternativen vorschlagen können. Ja, die bestehende elektronische Patientenakte entwickelt sich – euphemistisch – ausgesprochen suboptimal, umgekehrt ist aber ein sicherer elektronischer Datenaustausch sinnvoll und unausweichlich. Bedenken Sie bitte auch hier den jetzigen Stand: Fax, Brief oder gar die Nutzung von Messengern wie WhatsApp sind weitgehend unkontrollierbare Formen des Datenaustausches, welche zahlreiche Medienbrüche erfordern (im Fall von WhatsApp im Kontext medizinscher Datenübermittlung sogar illegal). Denken wir an die antiquierte und bis dato alternativlose Form der Rezeptierung auf Papier. Keine Fluglinie würde es wagen, heutzutage Papiertickets als alleinigen Standard zu offerieren.

esanum: Was sagen Sie zu der Forderung der Staatsministerin für Digitalisierung, Dorothee Bär, nach einem „Abrüsten beim Datenschutz“ – wäre der für die weitere Entwicklung förderlich oder hinderlich?

A: Diese durchdachte und koordinierte Reduktion des Datenschutzes kann sinnvoll und zukunftsweisend sein. Anders gesagt: Datenschutz ist nur etwas für Gesunde. In dem Moment, in dem ein erkrankter Patient durch den Austausch seiner Daten seine Diagnostik oder Therapie beschleunigen kann, wird er dies sofort tun. Dennoch müssen die Rechte des Einzelnen an seinen Daten prinzipiell gewahrt bleiben und Änderungen in einem breiten gesellschaftlichen Diskurs angegangen werden.

esanum: Welche Gefahr scheint Ihnen größer: Digitalisierung stoppen oder Datensicherheit lockern?

A: Die Digitalisierung zu stoppen ist nicht mehr möglich – ob wir das wahrhaben wollen oder nicht. Wenn wir uns nicht in einer sinnvolleren Form und sehr proaktiv damit befassen, wird ein Großteil der verfügbaren digitalen Gesundheitsdaten sich in den Händen der Oligopole in den USA und China sammeln und den Playern dort maßgeblichen Einfluss auf die Gestaltung unser aller medizinischen Zukunft geben. Deutschland kann sich in dieser Hinsicht an Estland und den skandinavischen Ländern orientieren, in denen – im Gegensatz zu Deutschland – ein Großteil der Prozesse digital abgebildet ist, Daten zentral gespeichert und verwaltet werden können.

esanum: Wie sieht Ihr Szenario aus, falls die elektronische Gesundheitsakte und die weitere Entwicklung der Telematik nicht kommen?

A: Wie gesagt wird es eine Lösung brauchen, der wir uns anschließen. Diese darf jedoch nicht von oben herab als erzwungener Standard herbeiforciert werden, sondern muss sich – ebenso wie im privaten Nutzen der Digitalisierung – aufgrund des Bedienkomforts durchsetzen. Wir als AG halten vergleichbar zu den 5G-Lizenzen einen Wettbewerb mehrerer Privatanbieter für potentiell wünschenswert. Das belebt das Geschäft und katalysiert den Innovationsprozess. Die bereits angesprochenen Sicherheitsstandards der gespeicherten Daten müssen sich dabei natürlich den technischen Weiterentwicklungen anpassen.

esanum: Welche Schlüsse ziehen Sie nun aus dem Datenklau für Ihr erklärtes Ziel, die Digitalisierung in der Medizin zu forcieren?

A: Kriminalität lässt sich nicht stoppen, weder analog noch digital. Aber: Uns ist es deutlich lieber, wenn die Standards der Datensicherung und -distribution aus europäischen Technologien erwachsen und dort weiterentwickelt werden. Technologien außereuropäischer Länder unterliegen anderen von uns kaum beeinflussbaren Gesetzgebungen und Sicherheitsstandards und stellen somit für uns keine präferierbare Option dar. Für den einzelnen Patienten und Arzt müssen die Mehrwerte der Digitalisierung klar die Risiken überwiegen und letztere müssen durch den Einsatz moderner Technologien bestmöglich reduziert werden. Es ist nicht begreiflich, warum Online-Banking seit mehr als einem Jahrzehnt weitgehend risikofrei funktioniert, jedoch die Blutgruppen und Medikamente auf einmal das weitaus größere Risiko darstellen sollen. Auch hier wünschen wir uns einen Wettbewerb um die höchsten sinnvollen Standards der Datensicherung unter Ermöglichung des optimalen Datenaustausches.

Es gilt: So sicher wie möglich, so transparent und offen wie nötig.

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Interview zur Gründung der Arbeitsgemeinschaft Digitalisierung

Digitalisierung wird die Form der Gesundheitsdienstleistungen grundlegend verändern. Mediziner haben die Aufgabe, sich selbst um die Gestaltung dieses Veränderungsprozesses zu kümmern und dies keinen multinationalen Giganten zu überlassen. So wurde auf dem DKOU 2018 offiziell die „Arbeitsgemeinschaft Digitalisierung“ gegründet. Über die Anfänge und Zielsetzungen sprach esanum auf dem Kongress mit dem Co-Vorsitzenden PD Dr. med. Dominik Pförringer vom Klinikum rechts der Isar.

esanum: Herr Dr. Pförringer, Sie trommeln seit Jahren für die konsequente Nutzung der Daten für die Gesundheit. Wie hat sich in dieser Phase die Einstellung von Patienten und Ärzten zum Thema geändert?

Pförringer: Da ist auf jeden Fall positive Bewegung drin. Das Misstrauen schwindet. Das Vertrauen wächst. In Kürze beschreibt es folgender schöner Satz: Datenschutz ist nur etwas für gesunde Patienten. Die meisten haben jetzt begriffen, dass sie, wenn sie eine schwerwiegende Erkrankung haben, die man typisieren und in Daten aufschlüsseln kann, alles tun würden, um diese Daten global zu teilen, um die beste Therapieformen zu finden. 

esanum: Bleiben wir beim Thema der DGOU. Wo sehen Sie da den konkreten Nutzen?

Pförringer: Ein Beispiel: das Unternehmen Nanz medico, welches über die Gruppe ZAR (Zentrum für ambulante Rehabilitation) Rehabilitationsmaßnahmen anbietet. Sie ist vor geraumer Zeit eine Kooperation mit dem Start-up „Caspar“ eingegangen, welches online Reha anbietet. Das ist für mich ein positives Beispiel der frühzeitigen Erkenntnis und des Vorausblickes auf den Markt. Gerade für etablierte Spieler ist diese extrem relevant und kann den Markt deutlich beeinflussen. Die Online-Rehabilitation stellt hier die Ergänzung der konventionellen Reha dar. Das heißt, die Digitalisierung ersetzt nicht die bisherigen Therapieformen, sondern ergänzt sie – macht sie damit auch effektiver und ortsungebunden verfügbar. Mit anderen Worten, die Reha kommt zum Patienten. Wenn wir das alle begreifen, dann wird die Digitalisierung deutlich an Fahrt aufnehmen, zunehmend das Vertrauen der Patienten gewinnen und weitere Protagonisten finden. Dieser Erfolg wird sich dann auch bei den therapeutischen Ergebnissen zeigen.

esanum: Wie ist denn diesbezüglich der Tenor der Diskussion auf dem DKOU?

Pförringer: Es geht ja auch viel um die Frage – und das ist speziell mein Thema: Stellt die Digitalisierung den Turbolader oder die Bremse für die Ökonomie dar? Da kann und muss man beide Seiten darstellen. Es werden auf der einen Seite Kosten entstehen, welche in die Digitalisierung investiert werden müssen. Das ist wie in der Chemie die Aktivierungsenergie. Da müssen wir Katalysatoren finden und sogenannte Early Adopters. Und dann können wir relativ schnell einen Benefit sehen. Es ist bei den Ärzten wie in jeder Gauß‘schen Verteilungskurve: Das Gros lässt es geschehen, ein Teil lehnt es radikal ab und ein Teil trabt voraus. Das sind die so genannten Early Adopters. Mein Ziel ist es, mehr Optimisten auf die Seite der Early Adopters zu holen.

esanum: Wie machen Sie das?

Pförringer: Positive Beispiele wie „Caspar go Reha“ zeigen, dass moderne Methoden jetzt auch in die Vergütung hineinkommen. Denn so tickt der Mensch, wir Ärzte wollen in erster Linie unseren Patienten helfen, innovative Leistungen sollten jedoch auch adäquat vergütet werden. Und ich versuche, die Skepsis zu reduzieren. Das Gros der Menschen nimmt am Online-Banking teil, hat aber ein Problem, ihre Blutgruppe oder ihren Medikamentenplan online abzulegen. Das ist unlogisch. Wir müssen das Bewusstsein wecken, dass man der Allgemeinheit, anderen Kranken hilft, wenn man seine Daten teilt. Wenn ich das Blut und das Immunsystem des Patienten typisiere und dann schauen kann, welcher Patient welches Medikament, welches Implantat gut vertragen hat, kann ich ihm unter Umständen viel Aufwand, Erkrankung etc. ersparen, sowie mögliche Wiederholungsoperationen. Wenn ich schon im Vorfeld feststelle, dass jemand auf eine Therapie wahrscheinlich nicht gut ansprechen oder adverse Reaktionen zeigen wird, ist das sehr nützlich.

esanum: Wo stehen wir, sind die nötigen Investitionen in vollem Gang?

Pförringer: Wir versuchen in Deutschland, alles perfekt zu machen. Beispiel: elektronische Gesundheitsakte oder elektronische Gesundheitskarte. Das funktioniert alles noch nicht. In Estland sind 98 Prozent der medizinischen Prozesse durchdigitalisiert. Gut, Estland hat noch nicht einmal halb so viele Einwohner wie Berlin. Aber die trauen sich einfach, die setzen das Thema um. Möglicherweise ist es noch nicht perfekt, aber sie arbeiten jeden Tag daran. Wenn wir uns anschauen, was heutzutage in der Orthopädie technisch möglich ist – das wurde auch irgendwann primär relativ experimentell mit einem Stück Blech aus der orthopädischen Werkstatt initiiert. Und heute ist das moderne Technologie. So entsteht Fortschritt, man muss sich trauen, man muss es ausprobieren. Deutschland muss eine Fehlerkultur erlernen, um im Bereich Innovation reüssieren zu können.

esanum: Was wird nun auf diesem Kongress konkret in diese Richtung unternommen?

Pförringer: Wir haben hier am Donnerstag, den 25.10. 2018, die „Arbeitsgemeinschaft Digitalisierung der DGOU“ aus der Wiege gehoben. Damit haben wir eine offizielle Anlaufstelle, ein Gremium für dieses wichtige Thema geschaffen. Wir werden uns unter anderem mit Apps, mit Datenschutz, mit Datentransferkonzepten auseinandersetzen.

esanum: Sie sind Co-Vorsitzender. PD Dr. David Back aus dem Bundeswehrkrankenhaus Berlin ist Vorsitzender. Wer macht sonst noch alles mit?

Pförringer: Wir durften erfreulicherweise über 50 Mitglieder aus ganz Deutschland sowie der Schweiz zur Inaugurationssitzung begrüßen. Wir werden uns ab sofort halbjährlich treffen. Zunächst werden wir Zuständigkeiten festlegen, Arbeitsgruppen bilden, um das große Thema sinnvoll aufzuteilen. Wie isst man einen Walfisch? Mit dem ersten Bissen. Wir müssen uns dem großen Thema Digitalisierung einfach mit dem ersten Bissen nähern. Es wird zum Beispiel eine Arbeitsgemeinschaft geben, die sich mit Mobile Health auseinandersetzt, mit Apps und Datenaustausch. Ein Arbeitskreis wird ein Weißbuch darüber schreiben, um das Thema generell zu definieren und zu gliedern.

esanum: Wann soll es fertig sein?

Pförringer: Das hängt von den Mitwirkenden ab, die erste Version wird in einem halben Jahr diskutiert werden.