Kategorien
Interviews

Nina Löwen
im Interview

Wer sind Sie und wie beschreiben Sie Ihren Drive im Bereich digitaler Medizin, Ihre Rolle?

Ich bin Klinische Psychologin, approbierte Psychotherapeutin im Richtlinienverfahren Verhaltenstherapie und seit 2016 im Bereich Digital Health unterwegs. Hierbei bin ich vor allem in der Konzeptentwicklung und inhaltlichen Gestaltung tätig, z.B. von (mobilen) Interventionen zur Förderung psychischer Gesundheit, begleitenden Angeboten bei bestehenden Erkrankungen oder der Motivationsförderung bzgl. gesunder Gewohnheiten. 

Meine Arbeit im Bereich Digital Health ergibt sich aus meiner Überzeugung, dass wir die alltäglich gewordenen digitalen Werkzeuge in unserem Leben sowie die technologischen Fortschritte der Zukunft unbedingt auch zur Förderung unseres emotionalen und körperlichen Wohlergehens nutzen sollten.

Was ist Ihr Alleinstellungsmerkmal? Was exakt findet in Ihrem Alltag schon alles digital statt? Wo schafft die Digitalisierung damit einen Mehrwert? 

Ich schätze approbierte Psychologische Psychotherapeut*innen wie ich sind im Bereich Digital Health, insbesondere der Produktentwicklung, noch vergleichsweise selten anzutreffen. Ich denke, das hängt auch damit zusammen, dass oft unklare Vorstellungen bzgl. der Kompetenz- und Kenntnisprofile von Psychotherapeut*innen bestehen. Dabei beinhaltet Psychologie und Psychotherapie viele Bestandteile, die gerade in der nutzer*innenzentrierten Produktentwicklung elementar sind – z.B. Kenntnisse zu Verhalten und Verhaltensmodifikation sowie zu dahinterliegenden Prozessen, die z.B. Bedürfnisse, Motivation, Entscheidungsfindung und Lernprozesse mit einschließen. Meiner Erfahrung nach ergeben sich da z.B. in der Zusammenarbeit mit UX Designer*innen neue Perspektiven, Denkansätze und ein spannender Methodenaustausch.

Während ich in der digitalen Produktentwicklung weitestgehend papierlos arbeite und fast alle Arbeitsschritte digital ablaufen (mit Ausnahme von z.B. Design Sprint Workshops), ist die Digitalisierung im Bereich der Psychotherapie noch auf Pen-und-Paper und PDF-Dokumentansammlungen angewiesen. Digital spielen sich hier eventuell Dokumentation, Abrechnung sowie Termin- und Raumbuchung ab. Häufig empfehle ich Patient*innen begleitend digitale Angebote, zum Tracking oder zur Vertiefung von Gelerntem, z.B. Achtsamkeitsmeditation. Da gibt es sicher noch sehr viel Luft nach oben.

Wo sehen Sie die größten Chancen und das größte Potenzial in der Digitalisierung der Gesundheit? Wieso? 

Wie andere Gesundheitsbereiche muss auch die Psychotherapie in Zukunft digitaler werden, daran besteht kein Zweifel. Gleichzeitig wird uns die menschliche, persönliche Komponente dabei noch lange erhalten bleiben. In den letzten Jahren wurde bereits sehr deutlich, dass unsere Gesundheitsversorgung u.a. stark von Patient Reported Outcomes und Patient-Generated Health Data profitieren kann. Ich hoffe, dass es uns durch diese in der Zukunft noch besser möglich sein wird, Entstehungsbedingungen und Verlaufsformen von Erkrankungen zu verstehen, Fehldiagnosen zu verringern sowie individualisiert zugeschnittene Interventionen zu entwickeln und auszuwählen, z.B. durch die Analyse von Big Data und AI-gestützte Methoden. Dafür müssen natürlich noch viele Fragen bzgl. Ethik, Datenschutz und Aussagekraft von Daten bearbeitet und kritisch diskutiert werden.

Das größte Potenzial sehe ich hierbei in der Gesundheitsversorgung traditionell unterrepräsentierter und vernachlässigter Gruppen – z.B. Frauen*, LGBTIQA*-Personen oder  PoC, die in unseren vorherrschenden medizinischen Modellen bisher nicht ausreichend Berücksichtigung finden und nachweislich auch eine schlechtere Versorgung erhalten. Digitale Angebote können hier perspektivisch dabei unterstützen, Verzerrungen im Krankheitsverständnis und bei Diagnosen zu reduzieren und passende Behandlungsansätze zu wählen. 

Wo konkret sehen Sie das größte Marktpotenzial in der digitalen Gesundheit in den kommenden Jahren und wieso?

Der “Psychotherapie-Markt” ist international sehr heterogen und in Deutschland nicht besonders groß. Mentale Gesundheit betrifft jedoch jede*n von uns. Als Psychotherapeutin interessiert mich hier in den kommenden Jahren vor allem der Einsatz von VR-Technologien, z.B. in der Unterstützung von Entspannungsverfahren oder Expositionsbehandlungen. Durch sinkende Hardware-Preise wird der Zugang zu VR-Technologien neben (Privat)Kliniken auch zunehmend für kleinere Medizinische/Psychotherapeutische Versorgungszentren und Einzelpraxen attraktiver. Gleichzeitig könnte so vereinzelt der Einsatz von Medikamenten, z.B. Benzodiazepinen oder Neuroleptika, verringert werden, Behandlungen könnten nebenwirkungsärmer und effizienter gestaltet werden.

Darüber hinaus interessiere ich mich persönlich für den Bereich Serious Games im Bereich der psychischen Gesundheit. Während es da vereinzelt noch “dreangeklatscht” und willkürlich wirkende Versuche der Gamifizierung gibt, bestehen auf der anderen Seite einige interessante und vielversprechende Ansätze – ich denke da z.B. an eQuoo oder MindLight. Ich sehe da viel Potential und bin gespannt, was sich dahingehend auf dem Markt in den nächsten Jahren entwickelt.

Was ist Ihr konkreter Ratschlag an Gründer und Investoren im Bereich digital health? 

Handelt es sich um B2C Angebote, sollten Gründer*innen stets im Hinterkopf behalten, dass aufgrund unseres insgesamt guten Gesundheitssystems in Deutschland die Bereitschaft, Kosten für Leistungen im Gesundheitsbereich selbst zu tragen, relativ gering ist. Dazu kommt, dass das, was gut tut, sich im Bereich Gesundheit nicht immer gut anfühlt; oft stehen für User zunächst Aufwand oder Belastung im Vordergrund, die Vorteile von gesundheitsfördernden Interventionen werden hingegen häufig erst langfristig spürbar, was für die Zahlungsbereitschaft und den Erhalt der Retention zusätzlich beachtet werden muss.

Häufig beobachte ich auch, dass die Bedeutung von Zertifizierungen und Regularien im Gesundheitsbereich unterschätzt wird. Gerade mit den neuesten Entwicklungen bzgl. des Digitalen-Versorgung-Gesetzes bzw. der  Digitalen-Gesundheitsanwendungen-Verordnung sollte hier im Vorfeld genug Klarheit geschaffen und genügend finanzielle, personelle, und vor allem zeitliche, Ressourcen eingeplant werden.

Welche drei Events sind absolute MUSTs im Bereich Digital Health, würden Sie also dringend empfehlen? 

·        DMEA – Connecting Digital Health

·        Frontiers Health

·        HIMSS & Health 2.0  

7. Empfohlene Webpages / Foren / Plattformen / Meetups / Newsletter?