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Wie können wir die Medizin sicherer gestalten? |
Werner Korb im Interview

Mein Name ist Werner Korb. Seit etwa 20 Jahren beschäftige ich mit Human Factors in der Chirurgie und suche letztendlich Antworten auf die Frage: „Wie können wir die Medizin sicherer gestalten“. Meine Forschungslaufbahn führte über mehrere Stationen und schlussendlich habe ich 2011 weltweit die erste Professur für Simulation und Human Factors in der operativen Medizin an der Hochschule für Technik, Wirtschaft und Kultur (HTWK) Leipzig erhalten. Ich habe mehrere Forschungsgruppen und Projekte geleitet und dann im Jahr 2015 mein erstes Startup, ein Spin-Off der HTWK, gegründet.  Ich war schon immer überzeugt, dass innovative Technologien nicht in den zähen Strukturen der Hochschulen festhängen dürfen, sondern den Weg in die freie Wirtschaft schaffen sollen. 

Mein Weg führte mich aber weiter und im Dezember 2018 haben wir die Firma Vocationeers gegründet. Damit bin ich meiner Überzeugung gefolgt, dass die Medizin, nur mithilfe digitaler Lösungen erhebliche Fortschritte erfahren wird. Aktuell entwickeln wir die Webplattform mySebastian, welche die Verarbeitung klinischer Expertise zum Beispiel im Training oder bei klinischen Studien revolutionieren wird. 

Was ist Euer USP, Euer Alleinstellungsmerkmal?  

Unser Alleinstellungsmerkmal ist, dass wir ein sehr, bunt gemischtes und agiles Team sind. Dabei können wir auf eine perfekte Kombination von jahrzehntelanger Erfahrung in der Medizintechnik und jungem Enthusiasmus sowie Erfindergeist bauen. 
Mit diesem tollen Team entwickeln wir eine innovative Web-Anwendung, welche klinische Prozeduren digital abbildet, mit echten Patientendaten (anonymisiert) koppelt und zusätzlich mit hochwertiger Pädagogik verbindet. Dabei haben wir einen Paradigmenwechsel vollzogen, indem wir die erste Plattform in der Healthcare-Domäne entwickeln, die sich sinnvoll in den Alltag der klinischen Experten integrieren lässt. Wir denken, es sind die Lehrenden, die für den Lernerfolg der Lernenden verantwortlich sind. 
Die eigentliche USP ist dabei eine einzigartige Logik, wie Wissen einerseits völlig individualisierbar ist und dennoch zu 100% vergleichbar bleibt. Mittlerweile ist eine Beta Version der Software unter beta.mysebastian.at verfügbar, wir kollaborieren eng mit unseren ersten Early Adoptern bzw. einem strategischem Inverstor und arbeiten mit Hochdruck am Release.

Wo sehen Sie die größten Chancen und das größte Potenzial in der Digitalisierung der Gesundheit? Wieso? 

Das größte Potential sehe ich in der Durchschlagskraft und Reichweite der digitalen Tools. Echten Mehrwert sehe ich, wenn es uns gelingt Tools zu designen, welche die Herausforderungen im Healthcare-Sektor lösen und als sinnvolle Applikation für die Chirurgen und Ärzte funktionieren. Das diese Tools digital sein müssen ist selbstverständlich.  Lösungen müssen im klinischen Alltag funktionieren sonst werden sie nicht genutzt. 

Wo konkret sehen Sie das größte Marktpotenzial in der digitalen Gesundheit in den kommenden Jahren und wieso?

Das ist eine gute Frage und noch nicht 100% absehbar. Jedenfalls glaube ich, dass Medical Content Management und auch eLearning einen starken Markt haben werden – wenn es richtig gemacht wird.

Was ist Ihr konkreter Ratschlag an Gründer und Investoren im Bereich digital Health? 

Kein überbordender Perfektionismus. Wir haben selbst die Erfahrung gemacht, dass es uns enorm wichtiges Feedback eingebracht hat, schon sehr früh mit ersten Konzepten und Lösungen unter die Leute zu gehen. Keine Software wird besser, wenn sie nur im Labor entwickelt wird. Nur die User in der Klinik bringen uns voran.

Welche drei Events sind absolute MUSTs im Bereich Digital Health, würden Sie also dringend empfehlen? 

Ehrlich gesagt haben wir in unserer zweijährigen Bestehenszeit noch ganz wenige ausgewiesene digital healthVeranstaltung besucht. Meine Divise lautet ohnehin: „Geh mit deinen Mitarbeitern ins Feld, nimm sie mit in den Operationssaal, lass sie mit Ärzten und Anwendern in Kontakt treten“. Das bringt unglaublich viel. 
Derzeit merke ich, dass auch digitale Veranstaltungen – gut konzipiert – erfolgreich sein können. 

Empfohlene Webpages / Foren / Plattformen / Meetups / Newsletter?

Momentan beobachte ich auf LinkedIn einen sehr ergiebigen Austausch zwischen den verschiedenen Communities. Man kann alle Trends und Entwicklungen live mitverfolgen. Jetzt ist LinkedIn noch völlig offen; man kann sich uneingeschränkt vernetzen. Das muss man jetzt noch ausnutzen. 

Dort empfehle ich natürlich die MakeHealthDigital Gruppe. 

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Interviews

Die Hausarztin und die digitale Gesundheit |
Leonor Heinz im Interview

Wer bist Du und wie beschreibst Du Deinen Drive im Bereich digitaler Medizin, Deine Rolle?

Die Begriffe von Gesundheit und Krankheit sind soziale Konstruktionen. Es gibt Krankheitsbilder, die sofortiger medizinischer Intervention bedürfen. In der Hausarztpraxis sind jedoch häufig Befindlichkeitsstörungen Thema, bei denen genau abzuwägen ist, ob eine medizinische Intervention wie eine Medikamententherapie sinnvoll ist oder ob in erster Linie eine Veränderung der psychosozialen Umstände oder eine Verhaltensänderung die bessere Medizin wäre. Als Fachärztin für Allgemeinmedizin und somit als Generalistin bewege ich mich in meiner Arbeit mit Patienten oft an den Grenzgebieten der biopsychosoziokulturellen Umstände entlang. Ich sehe es als meine Aufgabe, den Menschen die Möglichkeiten zu eröffnen, die die moderne Medizin zu ihrem Vorteil zu bieten hat. Gleichzeitig gilt es aber auch, vor den Nachteilen einer zu wenig durchdachten medizinischen Intervention zu schützen. Manchmal ist Zuwarten die beste Option. Gute Hausärzte können mit diesem kalkulierten Maß an Unsicherheit umgehen. Die Königsdisziplin ist es, den Patienten bei komplexen Entscheidungsprozessen wirksam miteinzubeziehen und zu einer geteilten Entscheidungsfindung zu gelangen. Das tatsächlich umzusetzen, gelingt selten. Die technischen Möglichkeiten hierfür werden wenig genutzt.

Um noch besser mit den spezifischen Herausforderungen in der Hausarztpraxis arbeiten zu können, wünsche ich mir, dass die technischen Möglichkeiten besser genutzt werden. Ich bin als Fachärztin für Allgemeinmedizin in meinem entsprechenden Berufsverband (Hausärzteverband e.V.) sowie in meiner wissenschaftlichen Fachgesellschaft (Deutsche Gesellschaft für Allgmeinmedizin) aktiv und sehe meine Rolle darin, ein tiefes Verständnis vom Status quo zu erreichen und darauf aufbauend die Hausarztpraxis der Zukunft zu konzipieren und zu entwickeln.

Was ist Dein USP, Dein Alleinstellungsmerkmal? Was exakt findet in Deinem Alltag schon alles digital statt? Wo schafft die Digitalisierung damit einen Mehrwert?

Ein ärztlicher Kollege, der in die Digitalbranche gegangen ist, hat mich mal als Tri-Sector Athlete bezeichnet. Meine Heimat ist das hausärztliche Setting, aber ich sehe die Notwendigkeit, Dinge zu verändern und bin voller Neugier und geradezu hungrig in Arealen unterwegs, wo die Musik spielt, was die zukünftige Gesundheitsversorgung der breiten Bevölkerung betrifft.

Die Digitalisierung schafft in meinem Alltag durch die erleichterte Verfügbarkeit von Information einen deutlichen Mehrwert, insbesondere auch in der unmittelbaren Patientenversorgung. So nutze ich Programme zur geteilten Entscheidungsfindung, wie ARRIBA, und webbasierte Angebote zur Informationsfindung für mich und für Patienten, so wie DEXIMED und gesundheitsinformation.de

Wo siehst Du die größten Chancen und das größte Potenzial in der Digitalisierung der Gesundheit? Wieso? 

Transparentere Darlegung des bereits vorhandenen Wissens in der Arzt-Patienten-Kommunikation. Das bedeutet für diagnostische Interventionen, dass Sensitivität, Spezifität und anhand der anzunehmenden Prävalenz die Rate an falsch negativen und falsch positiven Befunden leicht kommunizierbar sein muss, um den Menschen eine Möglichkeit zu geben, die Bedeutung von Testergebnissen besser zu beurteilen. Für therapeutische Interventionen ist es erforderlich, Wirkung und Risiken anhand natürlicher Zahlen einfach vermitteln zu können und die Number Needed to Treat (NNT) und die Number Needed to Harm (NNH) unmittelbar aufzeigen zu können. Wieso das notwendig ist, liegt auf der Hand – die Patienten haben ein Recht, mitzuentscheiden, was mit ihnen passiert. Dafür braucht es diese Informationen. Natürlich mögen manche Leute lieber, dass die Ärztin für sie entscheidet. Das ist ja auch in Ordnung. Die Möglichkeit zur Informationsvermittlung muss jedoch gegeben sein.

– Verminderung der Kluft zwischen Evidenz und Praxis durch Systeme, die den Arzt in seiner Arbeit am Patienten besser unterstützen. Ich würde mir zum Beispiel zum besseren und früheren Erkennen seltener Erkankungen eine KI wünschen, die durch föderales Lernen ständig verbessert wird. Das würde mich bei der Arbeit mit seltenen Symptomkonstellationen sehr unterstützen. Bei häufigeren Fragestellungen wird die gute ärztliche Behandlung oft dadurch erschwert, dass relevante Informationen fehlen – zum Beispiel zu Untersuchungen  und Therapien in der Vorgeschichte. Hier setze ich große Hoffnungen in die elektronische Patientenakte, auch für die interkollegiale und interprofessionelle Zusammenarbeit.

– Gesellschaftliche Transformation mit einerseits allgemein besserem Wissen zu Gesundheitsthemen und andererseits besseren Möglichkeiten zur Selbsthilfe durch lokale Netzwerke. Es sind genug gesellschaftliche Ressourcen vorhanden, um allen eine hervorragende Gesundheitsversorgung auch in der Zukunft zu ermöglichen. Hierfür müssen diese Ressourcen jedoch sinnvoll eingesetzt werden.

Wo konkret siehst Du das größte Marktpotenzial in der digitalen Gesundheit in den kommenden Jahren und wieso?

Systeme, die häufige kostenintensive medizinische Interventionen generieren, bieten in der aktuellen Struktur das größte Marktpotential. Die Aufgabe, das Leiden zu verstehen und zu bessern, tritt gegenüber dem Fokus auf das Marktpotenzial häufig in den Hintergrund. Aus meiner Perspektive benötigen wir Vergütungsmodelle, die gesund werden und gesund bleiben honorieren, wie es bei Einsparvergütungsmodellen (Bsp.: Gesundes Kinzigtal) der Fall ist.

Die wichtigste Ressource im Gesundheitswesen ist das Personal. Pflege und Ärzteschaft sind zunehmend ausgebrannt und flüchten sich in die Teilzeittätigkeit oder verlassen den Beruf ganz. Nur mit einem System, das auf Gesundheit fokussiert und den Mitarbeitenden eine sinnhafte Tätigkeit ermöglicht, wird es möglich sein, die medizinische Versorgung für uns alle auch in der Zukunft auf einem hohen Niveau zu halten. Das kann nur gelingen, wenn Kapitalgeber, die ihre Dividenden vor alles andere stellen, eine untergeordnete Rolle spielen.

Was ist Dein konkreter Ratschlag an Gründer und Investoren im Bereich digital health? 

– bringt Geduld für die Ärzte und ihre Strukturen mit. Mit Veränderungen tun Ärzte sich besonders schwer – denn unser Job in der Praxis und im Krankenhaus ist es, zu verhindern, dass Dinge schlimmer werden.

– glaubt nicht, dass ihr das Gesundheitswesen versteht, nur weil ihr mal krank wart und mal eine Praxis oder ein Krankenhaus von innen gesehen habt. Versucht, neugierig zu bleiben, dazuzulernen und die gewachsenen Strukturen kennenzulernen.

– arbeitet an einer lebenswerten Gesellschaft von morgen mit, in der soziale Spannungen und Unterschiede nicht noch weiter zunehmen.

Welche drei Events sind absolute MUSTs im Bereich Digital Health, würdest Du also dringend empfehlen? 

Veranstaltungen des hih, DEGAM-Kongress (um sich über Status quo im hausärztlichen Versorgungsbereich zu informieren)