Kategorien
Interviews

Erstellung medizinischer Beweise mit KI
| Frank Trautwein im Interview

Wer sind Sie und wie beschreiben Sie Ihren Drive im Bereich digitaler Medizin, Ihre Rolle?

Mein Name ist Frank Trautwein, ich bin Ingenieur und habe gut 15 Jahre lang medizinische Implantate und chirurgische Instrumente für die Orthopädie entwickelt. Heute bin ich Geschäftsführer der Firma RAYLYTIC, die mit Hilfe von Software und künstlicher Intelligenz die Durchführung klinischer Studien und die Schaffung medizinischer Evidenz aus der Routineversorgung automatisiert.

Während zu Beginn meiner Karriere auf 10 Entwicklungsingenieure etwa eine Person im Bereich Regulatory Affairs, also der Produktzulassung kam, herrscht heute bei vielen Firmen Gleichstand der Abteilungsgröße, teilweise sind die RA-Abteilungen bereits größer als die Entwicklungsabteilungen. Eine ähnlich explosive Tendenz kann man bei der Zunahme des Zeitaufwands administrativer Tätigkeiten in den Kliniken feststellen.

Meine Faszination, wiederkehrende Routinearbeiten per Software zu automatisieren, geht wohl zurück auf Mathehausaufgaben zum Thema Kurvendiskussion. Anstatt Wertetabellen händisch auszurechnen und diese auf Papier zu übertragen, hatte ich meinem C64 Computer mit einem selbst geschriebenen „Progrämmchen“ beigebracht, die Hausaufgaben viel anschaulicher und schneller zu lösen.

Administrative Aufgaben folgen immer klaren Vorgaben, Leitlinien oder Gesetzen. Es drängt sich daher geradezu auf, dass ich meine Leidenschaft für Computer und Software zur Lösung des dramatischen Anstiegs dieser eher leidigen Aufgaben im Gesundheitswesen und meinem Tätigkeitsbereich einsetze. Ein besonderer Reiz stellt für mich die Herausforderung dar, dies mit Gesundheitsdaten zu tun. Durch den Kontextbezug in verschiedenen Dimensionen ist die Verarbeitung medizinischer Daten im Vergleich zu üblichen technischen Daten sehr anspruchsvoll.

Was ist Ihr Alleinstellungsmerkmal? Was exakt findet in Ihrem Alltag schon alles digital statt? Wo schafft die Digitalisierung damit einen Mehrwert?

In meiner beruflichen Laufbahn habe ich gesehen, dass Gesundheitsdaten längst nicht nur zur Behandlung oder zur Versorgungsforschung benötigt werden. Jeder Hersteller benötigt Daten zur Wirksamkeit seiner Arznei oder seines Medizinprodukts. Er will genau verstehen, wie und warum sein Produkt funktioniert. Tut er das nicht, werden seine Mitbewerber langfristig die besseren Produkte liefern. Gleichzeitig werden Ärzte und Kliniken zunehmend über eine Incentivierung der Vergütung zur Messung des Behandlungsergebnisses gedrängt. Patienten informieren sich immer mehr im Internet über die Behandlungsqualität der Kliniken, der Ärzte und das reale Ergebnis verschiedener Behandlungsoptionen. Es gibt also einen gemeinsamen Bedarf nach objektiven Gesundheitsdaten durch unterschiedliche Stakeholder.

Unser Alleinstellungsmerkmal ist, dass wir zur Befriedigung dieses Bedarfs eine Plattform entwickelt haben, in der die unterschiedlichen Akteure gemeinsam Daten erheben, austauschen und nutzen, selbstverständlich unter Einhaltung aller Vorgaben zu Datenschutz und Datensicherheit.

Ganz konkret findet das z.B. bei der Durchführung klinischer Studien statt: Patienten, Ärzte, Radiologen, Medizinproduktehersteller und CROs (Auftragsforschungsorganisationen) arbeiten gemeinsam an der Erhebung und Analyse von Daten. Statt Daten aus den unterschiedlichsten Systemen händisch zu übertragen und Übersichten und Statistiken manuell zu berechnen, erfolgt dies in unserer UNITY-Plattform nahezu völlig automatisiert – bis hin zur automatisierten Analyse radiologischer Bilder mit Hilfe von Künstlicher Intelligenz.

Der Mehrwert entsteht in drei Bereichen:

  1. Durch die Automatisierung von Prozessen und den Entfall administrativer Aufgaben sinken die Kosten – unsere Medizintechnik-Kunden sparen etwa 40% der Kosten für klinische Studien und die jährlich durchzuführende Nachmarktbeobachtung.
  2. Die Qualität der Daten ist höher: Durch den Echtzeit-Status aller fehlenden und verfügbaren Daten können etwaige Lücken meist noch rechtzeitig geschlossen und damit Protokollverletzungen vermieden werden. Durch die Analyse von Bilddaten per Software kann die Software häufig auch wesentlich präziser und reproduzierbarer Messungen vornehmen als dies durch menschliche Befunder möglich ist.
  3. Die Datenverfügbarkeit steigt: Durch die Herstellung der sogenannten Interoperabilität medizinischer Daten können diese zwischen verschiedenen Systemen und Akteuren – unter Einhaltung der Datenschutzvorschriften – in großem Maßstab mit hoher Detailtiefe ausgetauscht werden.

Wo sehen Sie die größten Chancen und das größte Potenzial in der Digitalisierung der Gesundheit? Wieso?

Die Variabilität der Behandlungsergebnisse zwischen den Kliniken in Europa, und vermutlich weltweit, ist erschreckend. Selbst innerhalb eines Landes schwankt die Häufigkeit von Komplikationen oder Reoperationen bei derselben Diagnose und Behandlung um FAKTOREN. Die genaue Kenntnis der Ursachen für diese Diskrepanzen wäre ein enormer Gewinn, um die Qualität der Versorgung insgesamt zu verbessern. Das dazu benötige Wissen liegt in den Daten – wir müssten es nur nutzen können.

Analog dazu können sowohl Ärzte als auch Hersteller von Arzneimitteln und Medizinprodukten durch die breitere Verfügbarkeit medizinischer Daten die Wirkzusammenhänge, Indikationen und Kontraindikationen wesentlich genauer bestimmen. Dadurch kann die Wirksamkeit und Sicherheit von Produkten optimiert und die Behandlungswahl datengestützt individualisiert werden.

Wo konkret sehen Sie das größte Marktpotenzial in der digitalen Gesundheit in den kommenden Jahren und wieso?

Ärztliche Behandlung, Pflege und Nachsorge werden schon aus demographischen Gründen zunehmen und sind auch mittelfristig kaum durch digitale Lösungen ersetzbar. Ich sehe daher das größte Potenzial in Lösungen, die die bestehenden Fachkräfte insbesondere bei den Aufgaben entlasten, die nicht den eigentlichen Kern ihrer Tätigkeit ausmachen: wiederkehrende, administrative Tätigkeiten wie die Planung, Datenerfassung, die manuelle Übertragung zwischen Systemen, die Datenanalyse zur Diagnose und den Abgleich mit Behandlungsleitlinien, die Aufklärung zum Datenschutz usw. Einer Studie der Fachgesellschaft für Internisten in den USA zufolge verbringen Ärzte 50% ihrer Zeit mit vorgenannten und ähnlichen Tätigkeiten, während sie nur 30% mit den Patienten selbst verbringen. Die zunehmende Bürokratie hat zu einer strengen Taktung und Entmenschlichung der medizinischen Behandlung geführt. Weitere gesetzliche Vorgaben lassen keine Verbesserung erwarten, so dass ich ein großes Potenzial von intelligenter Software sehe, die dieses Problem löst.

Was ist Ihr konkreter Ratschlag an Gründer und Investoren im Bereich digital health?

Gründer: Falls Ihr noch keine Erfahrung mit den Bereichen Zulassung und Vergütung im Bereich digital health gesammelt habt: Holt unbedingt jemand an Board, der diese Kompetenz in Euer Start Up bringt, bevor ihr die erste Zeile Code schreibt. Die Markteintrittshürden sind nicht nur hoch, sondern vielschichtig, und jede einzelne wird Euch davon abhalten erfolgreich zu sein, wenn Ihr sie nicht von vornherein in Eure Strategie und in Euren Businessplan integriert.

Holt Euch Experten ins Boot, die die MedTech-Regularien, die Hürden und die komplexe Interaktion der unterschiedlichen Stakeholder im Gesundheitsbereich aus eigener Erfahrung kennen.

Investoren: Im Grunde habe ich den gleichen Ratschlag wie für Gründer: Holt Euch Experten ins Boot, die die MedTech-Regularien, die Hürden und die komplexe Interaktion der unterschiedlichen Stakeholder im Gesundheitsbereich aus eigener Erfahrung kennen. Und habt zuweilen einen langen Atem: Speziell im B2B Gesundheitsbereich beträgt ein Sales-Cycle 6–24 Monate, aber dafür hat man dann auch einen Kunden für 3–8 Jahre Mindestlaufzeit gewonnen.

6. Welche drei Events sind absolute MUSTs im Bereich digital health, würden Sie also dringend empfehlen?

DMEA
HIMSS
die Veranstaltungen des Health Innovation Hub (HIH)