Carola Harms
im Interview

Wer sind Sie und wie beschreiben Sie Ihren Drive im Bereich digitaler Medizin, Ihre Rolle?

Mich treibt es, mit anderen Pionieren neue gesellschaftsrelevante Entwicklungen mit zu gestalten. Mein erstes Aha-Erlebnis war, als ich vor ca. 10  Jahren im Rahmen einer Innovations-Veranstaltung Raymond Kurzweil erleben durfte – den amerikanischen Visionär, der von der “Revolution der Medizin” als nächsten großen gesellschaftlichen Meilenstein sprach. Das hat mich nachdrücklich beeindruckt und seitdem nicht mehr losgelassen.

Den Healthcare-Bereich und seine Herausforderungen kenne ich sowohl aus Unternehmer- als auch aus Konzernsicht. Zum einen trieb ich als Geschäftsführerin den Aufbau der Isarklinik in München voran, ein Scale-Up eines neuartigen Klinikkonzepts. Zum anderen arbeite ich seit einigen Jahren für den Pharma- und Diagnostikkonzern Roche in der Unternehmenskommunikation und begleite dort u.a. Themen rund um Digital Health Innovation und personalisierte Medizin. Zudem bin ich für die RoX Health GmbH tätig, dem Company-Builder der Roche Pharma AG. Wir unterstützen dort Gründer und Start-ups, die ihre digitalen Gesundheitslösungen in die deutsche Regelversorgung überführen wollen. Außerdem engagiere ich mich im Rahmen meines eigenen Beratungsunternehmens für Gründer und Start-ups als Mentorin bzw. Beirätin. 

Was ist Ihr Alleinstellungsmerkmal? Was exakt findet in Ihrem Alltag schon alles digital statt? Wo schafft die Digitalisierung damit einen Mehrwert?

Ich kenne Arbeitswelten aus drei unterschiedlichen Blickwinkeln: aus unternehmerischer Sicht, aus Konzernsicht und auch aus politischer Perspektive. Arbeitsweise, -prozesse und Unternehmenskultur unterscheiden sich hier oft gravierend. Hier verstehe ich mich als kommunikatives Bindeglied – denn wir brauchen alle drei Erfahrungswelten, um digitale Gesundheitslösungen erfolgreich am Markt zu platzieren. 

Schon immer war ich First-Mover, wenn es um das Ausprobieren digitaler Lösungen geht, die meinen Alltag erleichtern: so bin ich bereits seit der ersten Generation des Blackberry Fan von ortsunabhängiger mobiler Arbeit. Um meinen persönlichen Alltag zu organisieren nutze ich diverse Apps wie Evernote und Omnifocus oder Projekt- und Kollaborationstools wie Trello. Aber auch Gesundheits-Apps und Fitness-Tracker finden sich auf meinem Smartphone.

Wo sehen Sie die größten Chancen und das größte Potenzial in der Digitalisierung der Gesundheit? Wieso? 

Ein langfristiger Shift von der Therapie hin zur Früherkennung sowie IT-unterstützte eigenverantwortliche Gesundheitsvorsorge sehe ich als Riesenchance.

Das Gesundheitssystem ist derzeit noch stark auf die Behandlung und Therapie von Patientinnen und Patienten ausgerichtet. Hier werden uns digitale Lösungen sehr unterstützen können. Aber wäre es nicht klasse, wenn Krankheiten schon viel früher erkannt und Menschen schon in einem viel früheren Stadium behandelt werden könnten? Ein langfristiger Shift von der Therapie hin zur Früherkennung sowie IT-unterstützte eigenverantwortliche Gesundheitsvorsorge sehe ich als Riesenchance. Hier können digitale Tools entscheidend helfen. 

Wo konkret sehen Sie das größte Marktpotenzial in der digitalen Gesundheit in den kommenden Jahren und wieso?

Diejenigen digitalen Gesundheitslösungen werden am Markt die größten Chancen haben, die konkrete therapiebegleitende Bedürfnisse von Patientinnen und Patienten decken. Was es dabei zu beachten gilt: in Deutschland herrscht eine Denkweise vor, bei der Menschen nicht bereit sind, selbst Kosten für ihre Gesundheitsversorgung zu übernehmen. Vielleicht ändert sich diese Einstellung irgendwann mal. Start-ups sollten also ihre digitalen Lösungen von Anfang an DiGAV-konform entwickeln, so dass diese später auch von den Krankenkassen erstattet werden können.

Zudem werden Lösungen eine Chance haben, die den Arzt in seiner täglichen Arbeit unterstützen: von digitalen Pre-Screenings bei bildgebenden Verfahren bis hin zu digitalen Arbeitstools.

Auch im Klinikkontext bin ich überzeugt, dass es noch viel Potenzial für Verbesserungen gibt, die zur Prozesseffizienz aber auch zur Diagnosequalität beitragen können, z.B. bei Klinikmanagement-Systemen oder den digitalen Schnittstellen zwischen den einzelnen Klinikfachabteilungen, so dass Ergebnisse bildgebender Verfahren von Fachärzten unterschiedlicher Disziplinen eingesehen und besprochen werden können. Ein weiteres Beispiel sind Tools, die die Arbeit der Pflegekräfte unterstützen. 

Was ist Ihr konkreter Ratschlag an Gründer und Investoren im Bereich digital health? 

Einfach machen! Es herrscht derzeit auch aus politischer Sicht eine große Bereitschaft digitale Gesundheitslösungen voranzutreiben. Das sollte jede Gründerin oder Gründer nutzen und die vielfältigen Beratungsmöglichkeiten in Anspruch nehmen: sei es bei Startup-Programmen der großen Universitäten wie der Technischen Universität München, den Accelerator-Programmen von Konzernen der Healthcare-Industrie oder politisch geförderten Initiativen. Gerne möchte ich auch insbesondere Frauen ermutigen, sich für eine Gründung zu entscheiden – auch hier gibt es viele Fördermöglichkeiten.

Welche drei Events sind absolute MUSTs im Bereich Digital Health, würden Sie also dringend empfehlen? 

  1. Der jährliche Digital Health Summit der TU München
  2. “Digital Health 2020 – EU on the Move” am 11.11.2020 im Rahmen der deutschen EU-Ratspräsidentschaft 
  3. Der Online Health Event “Health – the digital future” am 12./13.11.2020 des Handelsblatts