Wer sind Sie und wie beschreiben Sie Ihren Drive im Bereich digitaler Medizin, Ihre Rolle?
Ich glaube daran, dass die digitale Technik uns dabei helfen kann, die Medizin in Zukunft noch besser, individueller und auch menschlicher zu gestalten. Gemeinsam mit den Teams, für die ich mich beruflich engagiere, arbeiten wir daran seit Jahren auf verschiedenen Ebenen. Im Team der Klinik für Innere Medizin I am UKSH Kiel bin ich als Geschäftsführender Oberarzt tätig – dort haben wir diverse Digitalisierungsprojekte pilotiert und durch die internen Entwicklungen der starken Unternehmens-IT inzwischen eine fast papierlose Patientenversorgung. Gleichzeitig gibt es fruchtbare Entwicklungen gemeinsam mit Anbietern wie z.B. der kumihealth GmbH, die die „nicht planbaren“ Prozesse der unmittelbaren Patientenbehandlung digitalisieren und dadurch verbessern. Ein weiteres Tätigkeitsfeld ist die Verbesserung der medizinischen Behandlung durch digital unterstützte Entscheidungsfindung, die systematisch die medizinische Evidenz mit den Patientenpräferenzen koppelt und so den Patienten bei den Entscheidungen, die sein Leben im Kern betreffen, wirklich in den Mittelpunkt setzen. Diese Entwicklung ist Kern des SHARE TO CARE Projektes, bei dem u.a. auch Dr. Eckart von Hirschhausen beteiligt ist. Besonders wichtig ist mir außerdem meine Lehrtätigkeit an der MSH Medicalschool Hamburg und der Uni Kiel, da der direkte Austausch mit Studenten sowohl über digitale Innovationen als auch die unmittelbaren Bedürfnisse im Gesundheitswesen stetig inspirierend und reflexionsfördernd ist und einfach Spaß macht.
Was ist Ihr Alleinstellungsmerkmal? Was exakt findet in Ihrem Alltag schon alles digital statt? Wo schafft die Digitalisierung damit einen Mehrwert?
Letztlich ist es so, dass richtig gute, d.h. medizinisch wirksame digitale Anwendungen ihren USP häufig nicht über eine originelle Idee erschaffen, sondern über die Integration, Vernetzung und Praktikabilität innerhalb der bestehenden Versorgungslandschaft. In der SHARE TO CARE GmbH haben wir erstmals ein Produkt mit einer Methodik, die den Patienten systematisch und breit integrierbar wirklich in den Mittelpunkt setzt – nicht nur im Sinne einer weichen „Komfortzone“, wie wir es aus dem Servicebereich kennen, sondern bei den individuellen menschlichen Entscheidungen, die seine Krankheit, sein Sterben, sein Leben betreffen. Nebenbei wird durch die Verbesserung der Therapietreue und der Indikationsqualität die medizinische Qualität verbessert. Am Universitätsklinikum Schleswig-Holstein haben wir eine digitale Patientenversorgung auf hohem Niveau: digitale Patientenakte, Medikationssoftware, Archivierung, Leistungsanforderung und Dokumentation. Durch den engen Austausch zwischen den unmittelbar am Patienten arbeitenden Mitarbeitern und der Entwicklung haben wir hier bereits ein sehr hohes Niveau erreicht. Das hilft dem medizinischen Personal und dadurch auch dem Patienten.
Wo sehen Sie die größten Chancen und das größte Potenzial in der Digitalisierung der Gesundheit? Wieso?
Wenn wir es in Zukunft schaffen die praktische Medizin mit ihren unzähligen und hochkomplexen einzelnen Prozessen und Strukturen digital abzubilden, so erhalten wir einen Schatz an Möglichkeiten um die Patienten noch besser zu versorgen: mein Traum ist eine digitale Prozessoptimierung mit originärem medizinischen Fokus: Sicherstellung evidenzbasierter Medizin durch Integration des praktischen Einzelfalles mit all seinen individuellen Informationen, aktuellem Wissenschaftsstand, medizinischen Möglichkeiten und Patientenpräferenzen. Dadurch könnten wir endlich die medizinische Qualität wirklich transparent machen und so sichern. Durch Prozessoptimierung und verbesserten Informationsfluss könnten Ärzte und Pflege entlasten werden um sich mit ihrer Menschlichkeit und Empathie einzubringen – denn nur hiermit kann Medizin wirklich ihrem originären Auftrag gerecht werden.
Sehen Sie auch Risiken in der Digitalisierung?
Es gibt verschiedene Risiken, die man sehr ernst nehmen muss. Zum Beispiel muss darauf geachtet werden, dass die Wissenschaftlichkeit nicht aus der Medizin verdrängt wird, zum Beispiel durch Hochglanz-Schein-Innovationen. Big Data ist nichts wert und kann sogar gefährlich sein, wenn die Daten nicht sauber interpretiert werden um so den Patienten vor nicht sinnvollen Maßnahmen zu schützen und auch die Ressourcen vernünftig zu verteilen. Eine der größten Sorgen ist aber sicherlich, dass die Digitalisierung die Menschlichkeit aus der Medizin verdrängt – wenn die freiwerdenden Ressourcen von Pflege und Ärzten wegrationalisiert werden, anstatt sie in zuwendende Versorgung zu stecken, ist am Ende wenig gewonnen. Leider sehen wir letztlich schon seit der Antike auch wirtschaftliche Interessen, die gute Medizin und mit ihr die Interessen der Patienten gefährden. Alle Akteure müssen sich ihrer Verantwortung für eine humane Medizin bewusst sein, denn gute Medizin bedeutet fast immer auch menschliche Zuwendung. Diese kann natürlich wunderbar durch Roboter unterstützt werden – trotzdem darf der echte, analoge Mensch nicht fehlen.
Wo konkret sehen Sie das größte Marktpotenzial in der digitalen Gesundheit in den kommenden Jahren und wieso?
Aktuell ist der Markt nach meinem Gefühl vielfach von den „low hanging fruits“ getrieben. Leider wird in den Bereichen, die eigentlich wirklich die Patientenversorgung ausmachen, noch zu wenig Marktpotential gesehen: für eine gute Medizin, müssen die Prozesse direkt auf der Arbeitsebene verbessert werden, d.h. im digitalen Rückgrat der Leistungserbringer, dem Krankenhausinformationssystem und der Praxissoftware. Das ist – erstmal unabhängig von einer EGA – eigentlich der Bereich, wo der Schuh am meisten drückt und wo es ein unglaubliches Potential für Verbesserung gibt. Trotzdem ist der Marktbereich bislang wenig interessant, zum Beispiel weil es ein Mammutakt ist als Krankenhaus seinen KIS-Anbieter zu wechseln. Dadurch ist wiederum die Konkurrenzsituation und Innovationskraft minimiert. Insofern bleiben es aktuell die leichtgewichtigen Lösungen, die sich an die bestehenden Schwergewichte digital andocken lassen und so einzelne Aspekte verbessern. Natürlich führt dies wiederum zur Eröffnung neuer Versorgungsfelder, also zum Beispiel digitale Versorgungsangebote außerhalb der klassischen Leistungsanbieter. Das ist gut so und bringt frischen Wind, hilft aber (noch) nicht bei vielen schwerer wiegenden medizinischen Herausforderungen, wie zum Beispiel einer onkologischen Behandlung.
Was ist Ihr konkreter Ratschlag an Gründer und Investoren im Bereich digital health?
Die Herausforderung besteht darin, die Flughöhe zwischen neuen, „out-of-the-box“ Versorgungsvisionen und der Trägheit der auch relevanten Versorgungsrealität zu ziehen. Insbesondere Investoren, die nicht im Gesundheitssystem sozialisiert sind, fällt das teils schwer – auf der anderen Seite treiben Sie gerade damit teils auch die Umsetzung großartiger Konzepte voran, die die klassischen Player nicht für möglich gehalten hätten. Man braucht also eine ausgewogene Mischung an verschiedenen Kompetenzen, das macht es aber gerade spannend. Und dann ist es die Motivation, die man im Gesundheitsbereich eigentlich nur aufheben muss: mit einem großartigen Produkt kann ein echter Beitrag zur besseren Versorgung erbracht werden – das klingt so unspektakulär, am Ende bedeutet es in der Praxis aber gewonnenes Leben: Lebenszeit und Lebensqualität für echte Menschen.
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