Johanna Froehlich
im Interview

Wer sind Sie und wie beschreiben Sie Ihren Drive im Bereich digitaler Medizin, Ihre Rolle?

Meine Begeisterung für digital health entstand mit den Recherchen für meine Masterarbeit. Ich fand das Potential digitaler Medizin sehr beeindruckend, doch war erstaunt darüber, dass so wenig Konsens unter den Experten und Beratern der Bundesregierung herrschte, ob und wie man dieses Potential nutzen könnte. Bereits über fundamentale Aspekte, wie die Auslegung von Datenschutz, oder welchen Forschern man Zugang zu den Daten gewährt,
wurde gestritten. Auch habe ich festgestellt, dass die Mehrheit der Bürgerinnen und Bürger zwar großes Interesse an digitaler Medizin hat, jedoch nicht wirklich über die elektronische Patientenakte
(ePA) und ihre Implikationen, insbesondere im Bereich Datenschutz, informiert ist. Mit anderen Worten, ihre digitale Gesundheitskompetenz, oder „digital literacy“ ist noch relativ
niedrig. Dabei sind sie ja die Hauptadressaten der ePA, sie sollen von ihr profitieren – und ihre sensiblen Daten teilen. Im Rahmen meiner Arbeit wollte ich diese Konflikte und Informationsmängel aufdecken – mit dem Anspruch Lösungsansätze zu entwickeln.

Was ist Ihr Alleinstellungsmerkmal? Was exakt findet in Ihrem Alltag schon alles digital statt? Wo schafft die Digitalisierung damit einen Mehrwert?

Die verschiedenen Konflikte in der deutschen Debatte um die Regulierung digitaler Gesundheitsdaten in der ePA hat bislang noch keine andere wissenschaftliche Arbeit versucht zu ergründen und zu schlichten. In meiner Arbeit habe ich mich dabei besonders auf die
folgenden fünf Aspekte konzentriert: (1) Datenschutz- und Sicherheit, (2) Zugang zu den Daten, (3) Datennutzung, (4) Patientensouveränität und (5) Data literacy. Um die Vorteile der Digitalisierung für alle nutzbar zu machen, müssen Rechte, wie das auf Patientensouveränität und Datenschutz im Sinne der Nutzer, formuliert und eingehalten
werden. Ich bin überzeugt davon, dass uns dies gelingen kann, wenn jeder/ jede einzelne genügend Informationen über digitale Innovationen und die ePA bekommt, und somit seine digitale Gesundheitskompetenz aufbauen kann. Hier sehe ich die Krankenkassen in der Pflicht. Unter dieser Voraussetzung kann die Digitalisierung einen enormen Mehrwert für die selbstbestimmten Nutzer der ePA schaffen.

Wo sehen Sie die größten Chancen und das größte Potenzial in der Digitalisierung der Gesundheit? Wieso? 

Ich sehe großes Potential bei der medizinischen Forschung mit verschlüsselten Daten aus der digitalen Patientenakte. Diese darf allerdings nur durchgeführt werden, sofern der Patient als Souverän seiner Daten anerkannt bleibt. Diese Daten können zum Beispiel Aufschluss über Behandlungserfolge, Medikamente und gewisse Therapien bringen, oder den Arzt bei der Diagnose unterstützen.

Das größte Potential für Gesundheit im digitalen Zeitalter wird allerdings der Schritt von einer „Symptom-behandelnden“ zu einer präventiven Medizin sein, die durch die Nutzung genomischer Daten ermöglicht wird. Diese sollen, so Chef der Gematik, Markus Leyck
Dieken, in Zukunft auch in der ePA lagern und Aufschluss über die Krankheits- und Gesundheitsgeschichte der zurückliegenden und kommenden Generationen informieren. Somit können Kinder, zum Beispiel, bewusst Risiken vermeiden und Krankheiten vorbeugen,
für die sie genetisch prädestiniert sind. Dass besonders hierbei Datenschutz und- Sicherheit gewährleistet sein müssen ist eine unverzichtbare Bedingung für die Nutzung genomischer
Daten.

Wo konkret sehen Sie das größte Marktpotenzial in der digitalen Gesundheit in den kommenden Jahren und wieso?
Das größte Marktpotential sehe ich dort, wo die staatliche Gesundheitsversorgung derzeit ihre Lücken lässt: sei es bei langen Wartezeiten auf einen Arzttermin oder bei einer schnellen und
bedarfsorientierten Gesundheitsversorgung, die unbürokratisch und nah am Patienten ist. Diese Lücke kann durch Apps gefüllt werden, die durch ihr Angebot die lange Wartezeit überbrücken können, oder den Gang zum Arzt überflüssig machen. Für Apps dieser Art sehe
ich großes Potential, bei Nutzern, die in der Stadt leben, aber auch auf dem Land, wo sich die ärztliche Versorgung ausdünnt.

Was ist Ihr konkreter Ratschlag an Gründer und Investoren im Bereich digital health? 

Das wichtigste dabei ist die Wahrung des Vertrauens der Nutzer in das Produkt und in die Sicherheit der persönlichen Gesundheitsdaten. Dafür empfiehlt sich strenge Konformität mit den Richtlinien der EU-DSGVO sowie Transparenz den Nutzern gegenüber, damit diese
verstehen wann und mit wem die Daten zu analytischen Zwecken geteilt werden. Gesundheitsdaten sind sehr sensibel, und ihre Sicherheit ist Nutzern digitaler Gesundheitsapplikationen absolut wichtig. Das belegen Studien. Um das Vertrauen der Nutzer zu gewinnen empfehlen sich daher Kooperationen mit anerkannten Universitäten, Versicherungen oder medizinischen Forschungsinstituten.

Welche drei Events sind absolute MUSTs im Bereich Digital Health, würden Sie also dringend empfehlen? 

Die zwei wichtigsten Veranstaltungen sind meiner Meinung nach die Digital Life Design Conference, die in diesem Jahr unter anderem in München stattfand, sowie die politischen Abende der Medizininformatik-Initiative. Letztere sind besonders für diejenigen interessant, die wissen und mitreden wollen, wie die Zukunft der ePA aussehen soll. Im Februar 2020 wurden, unter anderem, auch Best Practices anderer Ländern vorgestellt, die bereits viel weiter mit der Digitalisierung des Gesundheitswesens sind, von denen Deutschland noch eine Menge lernen kann.